• Brussels, Berlin, Europe

Foundation Metaverse Europe Positionspapier zu Metaverse und Europäischer Souveränität von Dr. phil. Martin C. Wolff

Die Kernkompetenz einer Digitalen Souveränität

Es gibt eine moralische Pflicht zum Einsatz von künstlicher Intelligenz. Wenn diese Technologien unseren Alltag erleichtern, Leid mindern und Glück mehren sowie uns helfen, die institutionellen Aufträge in Kirche, Schulen, Verwaltung und wo auch immer zu erleichtern und zu verbessern, dann müssen wir sie einsetzen. Ihr Einsatz setzt Kompetenz voraus. Zum Kompetenzerwerb gibt es keine Alternative. Kompetenz ist auch das einzige Mittel, die Sorgen auszuräumen. Ohne diese Kompetenz wird auch jeder ethische Anspruch gegenüber dem Themenfeld scheitern. Diese Kompetenz umfasst ein tiefes nicht-technisches Verständnis für die Gegenstände, Zusammenhänge und Funktionsweisen. Ähnlich wie man mit dem Spracherwerb zusätzlich auch eine Kulturkompetenz erwirbt, prägt die Auseinandersetzung mit den digitalen Mechanismen, Prozessen und Werkzeugen das Verständnis für die digitale Sphäre aus. 

Den technischen Verstand zur Vernunft bringen, um aus Sorgen Kompetenz abzuleiten.

Nun ist es hierzulande ein beliebter Sport, den technologischen Fortschritt kritisch zu betrachten. Mit besorgter Miene denkt man bedeutungsschwanger darüber nach, welche Probleme Industrie, Pharmazie, moderne Landwirtschaft, Fernsehen, Internet oder Computerspiele bringen. Der jüngste Dauergast dieser Liste ist die Künstliche Intelligenz, aufstrebender Spross der eh schon verdächtigen Digitalisierung. Nun gehen wir Menschen schon immer auf zwei Arten mit Neuerungen um: Meistens mit Verboten. Oder aber mit der eigentlich erstrebenswerten Form: dem Kompetenzerwerb.

Bedauerlicherweise wird der Kompetenzerwerb anstelle von Verbotswünschen selten gefordert. Und noch seltener wird er jedoch von jenen angestrebt, die ihn fordern. Das ist besonders bemerkenswert für eine Zeit, so einfach wie noch nie in der Zivilisationsgeschcihte war, Kompetenzen zu erwerben: YouTube und Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehen, online verfügbare Bücher und ganze Bibliotheken, dutzende Menschen, deren Telefonnummer oder E-Mail-Adresse man hat, um sie mit einer einfachen Frage anzurufen oder anzuschreiben: „Kannst Du mir mal erklären…?“ oder „Kannst Du mir sagen, wo ich etwas zum Thema Künstliche Intelligenz finde?“ Ganz zu schweigen von den dutzenden Tagungen, Vorträgen, Abendveranstaltungen, Konferenzen und Workshops. Vielleicht recherchiert man auch für ein paar Stunden einfach mal via Google.

Es ist ein einfacher und klassischer Bildungsgedanke: Wenn ein Thema solche Sorgen bereitet, dann ist der Kompetenzerwerb zu diesem Thema die einzige Option. Leider scheint das Verharren in Sorgen weiterverbreitet. Es ist auch einfacher, wie eine alte Seelsorgerweisheit weiß: „Leiden ist leichter als Lösen“. Zwar sind die „besorgten Bürger“ ein Meme geworden, doch gilt auch hier: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“ Der Kompetenzerwerb als Digitale Bildung, Digital Literacy, Algorithmenkompetenz oder wie auch immer, wird immer nur für andere gefordert: für Kinder und Schüler oder besonders liebevoll für die besonders gefährdeten bildungsfernen Mitmenschen. Aber was ist mit jenen, die ihn so laut fordern? Was hindert ein hochkarätiges, gebildetes, interessiertes und verantwortungsbewusstes Publikum daran, diese Forderungen zuallererst auf sich anzuwenden? Und wie könnte das aussehen?

Digitale Hermeneutik

Vor etwas mehr als hundert Jahren war es für das Bildungsverständnis des Bildungsbürgertums selbstverständlich, Griechisch und Latein zu lernen. Ganz sicher nicht, weil es so nützliche Sprachen sind. Im Gegenteil: Alle Kritik zielt auf den fehlenden Nutzen ab und offenbart ein sehr zugespitztes Verständnis von Nutzen. Auch die Verteidiger versuchten nicht, diesen zeitintensiven Kompetenzerwerb mit dem Nutzen zu rechtfertigen. Warum also investierte man so viel Zeit und Ressourcen in diese Kompetenzen?

Natürlich einerseits, weil viele maßgebliche Texte in Latein verfasst sind: von der Gründung des römischen Reiches bis zur Erstfassung des Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahre 1900, nicht umsonst als die 10. Ausgabe der Digesten bezeichnet. Aber auch nicht, weil man sich hinterher auf Griechisch oder Latein unterhalten wollte. Sondern weil man ein tiefes, grundlegendes Verständnis über die geschichtlichen, gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhänge entwickelte. Es macht nicht klug für ein anderes Mal, sondern für immer:

https://twitter.com/hanbekks/status/1329017246681862145?s=20

Dem Spracherwerb wohnt die besondere Magie inne, völlig neue gedankliche Sphären zu erschließen. Das erste Mal, über einen Witz in einer anderen Sprache zu lachen, entzieht sich aller Logik und eröffnet Welten. Es ist eine Bewusstseinserweiterung, ähnlich wie es Philosophie, Mathematik, Musik und Kunst vermögen. Man erschließt Denkhorizonte und -muster, die Fähigkeit zur Vernetzung und Verbindung von Inhalten. Sie bedeuten auch die äußerst nützliche Kompetenz zur Erfassung von Komplexität, indem man unterschiedlichste artfremde Informationen und Wissenswelten in seinem Geist verbindet. Ein Hauch dieser Magie liegt noch in den Konzepten des „Triviums“ und „Quadriviums“, dem antiken Selbstverständnis, die Welt zu verstehen. Im 20. Jahrhundert kamen Biologie und Physik, Chemie und Wirtschaft hinzu, im 21. Jahrhundert die digitalen Wissensfelder.

Was diesen Bildungsansätzen innewohnt, ist die Magie des Verstehens. Es sind Kompetenzen, die Menschen verstehen machen, was vorher unverstanden war. Wie ein Google Maps des Denkens erlauben sie die Navigation, stellen Zusammenhänge her, finden Abkürzungen und erkennen vermeintlich unterschiedliche oder widersprüchliche Dinge als Einheit. So wird der Verstand zur Vernunft geführt. Wir haben für diese Kunst des Verstehens ein Wort: Hermeneutik. Diese Lehre des Verstehens spricht ebenso wie der hermeneutische Zirkel aus, warum Lernen stets schwierig und schmerzhaft ist. Aber es hat sich hinterher immer gelohnt: Man kann, weiß und versteht etwas, was vorher schlichtweg nicht da war. Schmerzvermeidung hingegen führt zu Inkompetenz und zu erlernter Hilflosigkeit. Und man versteht über den Gegenstand hinaus, wie die Theologie beispielsweise eine Kulturhermeneutik darstellt: Das Verständnis der eigenen Identität, Kirchen- und Wirkungsgeschichte mitsamt dem gesamten Katalog gebündelter Lebensweisheiten von Bibelgeschichten, mitsamt ihrer zeitgemäßen Aktualisierung durch Anwendung auf die aktuelle Lebenswelt: Klima und Nachhaltigkeit sind ein Bewahren der Schöpfung, Provenienz und Postkolonialismus sind moderne Sühne und Kasteiung zum Zwecke einer höheren Gerechtigkeit. Verständlich werden sie durch Bildung, Geschichte, Vielfalt. 

Nur so gelingt auch die aktive Ableitung von gesellschaftlichen Innovationen aus den technologischen und technischen Innovationen. Es ist die Neugierde, der Nukleus des Humanismus, die unaufhaltsame und unkorrumpierbare curiositas,Feuer und Fackel der menschlichen Wissbegierde, welche die Zivilisationen in die noch unbekannten dunklen Flecken hineinführt, erschließt und kultiviert. Ihr verdanken wir die Legitimation der Neuzeit ebenso, wie die unfassbaren kulturellen Schätze, deren Erbe uns als Zivilisation anvertraut sind. Die Sorgen und Ängste sind nichts anders als das Geflüster in ebendieser Dunkelheit, und es hat nur: „Es ist hoffnungslos: Hört auf! Gebt auf! 

Die Gesetzesgebung kennt jenseits der DSGVO keine nennenswerten juristischen Errungenschaften, die diesen Umwälzungen Rechnung tragen. Und der Datenschutz wirkt mehr wie das individualethische Feigenblatt mit Unterlassungsaufforderung, als irgendeine ernstzunehmende konstruktive oder gar optimistische Zukunftshoffnung. Einerseits trägt er einem vernetzten Phänomen adäquat Rechnung, indem sich das Gesetz nicht begrenzt. Aber dann ist er doch nach innen gerichtet, restriktiv und protektiv. Er leistet eine Beweislastumkehr: Die Veränderung muss rechtfertigen, warum sie gut ist. Statt Fehlerhafte Entwicklungen zu heilen, sollen sie grundlegend verhindert werden. Gleichwohl allenthalben was anderes behauptet wird lässt sich nüchtern konstatieren: Entscheidungen lügen nicht – und der europäische Rückstand erlaubt es inzwischen von einem digitalen Entwicklungsland zu sprechen.

Digitale Souveränität setzt Digitale Kompetenz voraus

Der einzig sinnvolle Umgang mit der Überwältigung durch die Innovationen ist der Kompetenzerwerb. Zuerst bei sich. Dann bei anderen. Das ist die Forderung einer Digitalen Hermeneutik als Bildungsgegenstand, der irgendwann mal als Curriculum auch in Schulen und Universitäten eingesetzt werden kann. Bevor wir jedoch detailliert wissen, was alles hineingehört, müssen wir selbst durch. Indem wir in dem fremden Feld selbst mühevoll Inhalte abtrotzen und um Verständnis ringen. In dieser Mühe steckt auch die entscheidende, von außen aber unsichtbare Erkenntnis was die entscheidenden Hürden und Inhalte sind. Einmal erfasst lachen wir und genießen neue Denksphären, gewinnen Sprache für die neuen Dinge und können sie anderen erklären. Erst wenn man etwas erklären kann, hat man es auch verstanden. Für kummervolle Spekulationen mit sorgenvollen Mahnungen bleibt kein Raum mehr, sie werden überflüssig; ist man doch selbst minutiös auskunftsfähig über die Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Handlungsfelder. Man wird auf einmal konkret, wo man vorher in spekulativer Sorge verharrte und immer wieder „Ethik“ magisch heraufbeschwor.

Wir stehen als Kultur und Gesellschaft immer noch am Anfang, ein besonders guter Grund endlich damit anzufangen. Seit 40 Jahren blicken die etablierten Institutionen mit der ihnen innewohnenden Überheblichkeit auf die Früchte der Hippie-Bewegungen aus Palo-Alto und dessen Nachbarn, dem Silicon Valley. Doch statt diese Entwicklungen neugierig aufzugreifen und Fragen an sie zu richten, werden Sorgen konserviert. Immer mit dem Beigeschmack, die eigene Bedeutung als Gralshüter der Ethik hervorzuheben. Nach vierzig Jahren Vernachlässigung stellen ebenjene alten etablierten Institutionen erstaunt und geradezu beleidigt fest, dass die Entwicklungen nicht einfach aufhören;  dass das Internet nicht einfach wieder weggeht. Im Gegenteil, die digitalen Entwicklungen durchdringen nunmehr alle Lebensbereiche. Mit völliger Entgeisterung wurden die breiten, massiven Proteste gegen die Reform des Urheberrechts und die Stürme gegen die Datenschutzes Grundverordnung wahrgenommen. Und noch immer fällt den alten Institutionen, inzwischen nachträglich, kaum mehr als Forderung nach „Ethik“ ein. Noch immer kein Kompetenzerwerb bei sich, den Personen und den Prozessen. Noch fehlt die durchdringende Auseinandersetzung im und mit dem Gegenstand, noch immer bleibt es ein scheinbar erhabenes darüber sinnieren aus der Ferne. Ethik aber erwächst aus Kompetenz und aus Kompetenz allein: Erst die Kompetenz, dann die Ethik.

Wer denn, wenn nicht der Souverän?

Nun geht es also um Bildung und neue Prozesse. Um Verstehen und das Schaffen von Rahmenbedingungen. Es ist nicht so, dass das Zeug ungeregelt bleibt. Die Menschen stimmten schon immer mit den Füßen ab, wenn es sonst nichts gab. Und die Nutzerzahlen sprechen für sich. Dafür ist es egal, ob Technologie als heilsbringend oder zerstörerisch diskutiert wird. Ob Künstliche Intelligenz als Terminator assoziiert und die Blockchain als eine Befreiung von Banken gefeiert wurde. Obwohl Künstliche Intelligenz nur Software bedeutet, sind die Übergänge disruptiv und lösen große Veränderungen aus. Die Verbindung von Technologien kann zwar alles miteinander verbinden, aber sie kann auch rücksichtslos sein und ohne eine klare Sinnfrage kann die Verantwortung für die Auswirkungen verloren gehen. Die Technisierung kann eine unangenehme Lebenswelt schaffen, die Menschen ohnmächtig und unbewusst zurücklässt. Social Media ist ein Beispiel dafür, wie Emotionen die Kommunikation dominieren können und wie moralische Strukturen auf subtilen Mustern von Theodizee und der Bekämpfung des Bösen aufgebaut werden können. Selbstbezüglichkeit kann provinziell sein und die Menschen können von nationalen Mythen geblendet werden.

Wo also ist das Souveräne Handeln, welches diese großen Desiderate aufgreift und in Curricula, Prozesse und Reformen füllt? Wo ist die nächste grundlegende Überarbeitung des Bürgerleichen Gesetzbuches im Vorbild der Reformen von 1900? 

Alles Großprojekte mit erheblichen Investitionen, für deren Bewältigung einst der moderne souveräne Staat eigentlich erfunden wurde. Eine exzellente Chance, dass sich dieser Souverän hier neu erfindet. ­­­­­­Dafür braucht es Plattformen und Diskurse, aber keine Gipfel die folgenlos bleiben: Sondern Auseinandersetzungen, welche die TeilnehmerInnen mit neuen Kategorien, Ideen und Handlungsoptionen verlassen – und zwar jenseits der alten Wunderwaffenhoffnungen von Blockchain, Quantum Computing und KI. Sondern das kleinteilige Diskutieren und Schreiben von Handlungsanweisungen für Unternehmen und Behörden. 

Ein solcher Ort trägt zu Recht den Namen Metaverse: Die Verbindung mannigfaltiger Möglichkeiten mit einem klaren Ordnungsrahmen und Wertekonzept. Das Gegenteil von Beliebigkeit ist nicht Sorge, sondern Verantwortung. Verantwortung meint, jemanden antworten; jemanden aus anderem Milieu, Branchen und Ressorts; aus anderen Stove-Pipes und Erfahrungshorizonten. Ganz grundlegend Verantwortungsträger mit anderen Horizonten. Hier sehe ich die Foundation Metaverse Europe in einer ganz herausragenden Funktion und Rolle. Weder ist sie einer Partei, noch einem Land, noch einer Branche verpflichtet. Sondern der Sache. Sie speist ihr Verständnis und Rolle aus dem Gegenstand her, sie lädt plattformübergreifend ein und schlägt sich weder auf die Seite der Monetarisierung noch der Bedenkenträger. Sondern fragt:

  • Wie setzen wir den ganz akuten Fortschritt im Sinne aller Shareholder die aktiv gestalten um?  

Die Foundation muss auch keine Wahlkämpfe gewinnen, um deretwegen sie dann Heilsversprechen gibt. Stattdessen verbessert sie die Qualität der Fragen und der konkreten Entwicklungen, indem sie deutlich betont: Europa repräsentiert maßgeblich die großen zivilisatorischen Errungenschaften, welche Recht und Ordnung, Normen und Sitten prägen.

Von der maßvollen Privacy über die Verantwortung der Wissenschaft und des gesunden Tangos von Regulation und freier Wirtschaft bis hin zu den geistigen Grundlagen die sich in Kunst, Kultur und Bildung manifestieren. Das Rad haben wir also bereits erfunden, nun bringen wir Rechenmaschinen ins Rollen.

Zum Kernthema Europäische Souveränität mit Martin C. Wolff

Dr. phil. Martin C. Wolff arbeitet als Unternehmer und Wissenschaftler in Berlin. Seit 2016 lehrt er an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Hasso-Plattner-Institut der Universität zur Philosophie, Digitalen Ökonomie und Ethik im digitalen Zeitalter. Als Autor publiziert er in wissenschaftlichen und sicherheitspolitischen Verlagen und Zeitschriften

Sein Studium verschiedener Geistes- und Sozialwissenschaften, BWL und Jura in Berlin, Hagen und Freiburg schloss er mit einem Magister und einem Master ab. Nach einer Ausbildung zum Kommunikationstrainer und einer Kampfsportausbildung bildete er an der Berliner Verwaltungsakademie von 2004-2014 Polizei- und Ordnungskräfte in Kommunikation, Deeskalation und einsatzbezogene Selbstverteidigung aus. Mit seiner Dissertation „Ernst und Entscheidung“ entwickelte er eine philosophische Grundlagentheorie zu Konflikten. Er führt einen Magister Philosophie und einen Master in Supervision und Pastoralpsychologie.

Er ist seit 2016 im Vorstand des CNSS und seit 2019 dessen Vorsitzender, sowie seit 2021 der Leiter des Internationalen Clausewitz-Zentrums (ICZ) an der Führungsakademie der Bundeswehr.

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